"Unterschiedlichkeit kann eine Bereicherung sein" - Interview mit Doris Sarstedt, Schulleiterin der Cecilien-Schule in Berlin
21.02.2018: Antifaschistischer Jugendmedienpreis Das Rote Tuch geht am am 3. März 2018 an die Cecilien-Schule in Wilmersdorf. SPD Charlottenburg-Wilmersdorf stiftet Preis für kontinuierliche Gedenkarbeit und demokratisches Engagement
Die SPD Charlottenburg-Wilmersdorf verleiht am Samstag, 3. März 2018, 14.00 Uhr, den Jugendmedienpreis "Das Rote Tuch" an die Cecilien-Schule am Nikolsburger Platz in Wilmersdorf (Einladung, u.A.w.g.). Die Jury würdigt mit der Auszeichnung die kontinuierliche Gedenkarbeit und das demokratische Engagement der Wilmersdorfer Grundschule in der Öffentlichkeit (Pressemeldung).
Ich bin seit April 2017 Sprecherin der Jury für Das Rote Tuch und habe im Vorfeld mit der Schulleiterin Doris Sarstedt das folgende Interview per E-Mail geführt:
"Unterschiedlichkeit kann eine Bereicherung sein"
Frau Sarstedt, die Cecilien-Schule führt eine Vielzahl von Aktionen und Projekten durch, in denen es um kulturelle Vielfalt und Toleranz geht. Warum ist Ihnen dieser Schwerpunkt so wichtig?
Sarstedt: Wir erleben Hass und Gewalt in der Gesellschaft und scheinen es hinzunehmen. Die Schule bildet die Gesellschaft im Kleinen ab. Wir haben die Möglichkeit, auf Zwistigkeiten und Vorurteile direkt zu reagieren. Das tun wir, indem wir den Kindern zum Beispiel durch zusätzliche Angebote die Gelegenheit bieten, sich besser kennen zu lernen. Dadurch verliert das vermeintlich Fremde seinen Schrecken und bei vielen entsteht die Erkenntnis, dass Unterschiedlichkeit eine Bereicherung sein kann.
Franziska Becker, Doris Sarstedt, Sandra Scheeres
Ein Highlight sind sicherlich die Feste der Vielfalt Ihrer Schule. Was zeichnet diese Feste aus?
Sarstedt: Insgesamt die schöne und gelöste Stimmung. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich während der Projekttage mit unterschiedlichen Themen aus verschiedenen Ländern. Voller Stolz zeigen die Kinder die Ergebnisse ihrer Arbeit auf dem Fest der Vielfalt. Jede Gruppe bekommt Raum, um beispielsweise originale oder nachempfundene Kleidung in einer Modenschau vorzuführen, kulinarische Köstlichkeiten aus verschiedenen Ländern zu servieren, neu erworbene Kenntnisse wie fremde Schriftzeichen, Masken oder Spiele zu präsentieren. Die unterschiedlichen Eindrücke sind überwältigend und machen die Vielfalt deutlich.
Rassismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus sind in der Gesellschaft sichtbar wie lange nicht. Inwieweit zeigt sich, dass Ihre Schülerinnen und Schüler von politischen und medialen Debatten beispielweise zum Thema Flüchtlinge beeinflusst werden?
Sarstedt: Es finden sicherlich nicht politische Diskussionen wie mit älteren Schülerinnen und Schülern an der Oberschule statt. Aber wenn über Lebensumstände oder Herkunft gesprochen wird, werden Vergleiche angestellt und Unterschiede festgestellt. Eine direkte Beeinflussung durch Medien kann ich nicht feststellen. Allerdings werden sicherlich im Elternhaus unterschiedliche Gespräche geführt, deren Inhalte sich bis jetzt nicht in der Schule deutlich machen.
"Natürlich treffen unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten aufeinander"
Sandra Scheeres, Doris Sarstedt, Reinhard Naumann
400 Schülerinnen und Schüler aus 53 Ländern besuchen die Cecilien-Schule aktuell. Wie prägt diese Vielfalt Unterricht und Freizeitverhalten? Wie gehen die Kinder miteinander um?
Sarstedt: Zu behaupten, es gehe nur konfliktfrei und harmonisch zu, wäre eine Übertreibung. Natürlich treffen unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten aufeinander. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass wir eine heterogene Schülerschaft haben. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang in der Entwicklung von Kindern. Schülerinnen und Schüler sind bei uns geschult, auf Konfliktsituationen zu reagieren, als ausgebildete "Streitschlichter", bzw. im wöchentlich stattfindenden "Klassenrat". Die Kinder verbringen den ganzen Tag sowohl im Unterricht als auch im Freizeitbereich miteinander. Da ist es wichtig, aufeinander zu achten.
Sind Sie der Meinung, dass Themen wie Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus in ausreichendem Maße an Berliner Schulen diskutiert werden?
Sarstedt: Das kann ich nicht wirklich beurteilen. Allerdings sind die Ansätze im Gewi-Unterricht (Red: Gewi=Gesellschaftswissenschaften) gelegt. Es liegt in der Entscheidung jeder Schule, wie und wo die Schwerpunkte darüber hinaus verankert werden. Für Grundschulen bietet es sich an, die Umgebung der Schule mit einzubeziehen. Bei uns war der Anlass die Verlegung der Stolpersteine, für die wir die Patenschaft übernommen haben. Daraus entwickelte sich eine regelmäßige Beschäftigung mit der Thematik in unterschiedlichster Form.
Doris Sarstedt
Die SPD Charlottenburg-Wilmersdorf verleiht den Jugendmedienpreis Das Rote Tuch an die Cecilien-Schule auch als Motivation für andere Schulen, sich zu engagieren. Welche Tipps können Sie Schulen geben, die ebenfalls Projekte zu Demokratie und Vielfalt umsetzen wollen?
Sarstedt: Es gibt bereits gute Ansätze von anderen Schulen, die diese Thematik aufgegriffen haben. Vielleicht wäre hier ein besserer Austausch nötig. Aber insgesamt bieten Gemeinsamkeit fördernde Aktivitäten, wie zum Beispiel ein Zirkusprojekt, bei dem Kinder ihre ganz speziellen Fähigkeiten zeigen können, gute Ansätze. Dies haben wir auch erfahren und viele Erwachsene und Kinder hatten ein Aha-Erlebnis! Es braucht immer Menschen, die diese Thematik tragen und mit Inhalten füllen. Es ist kein Selbstläufer, ein Kollegium dazu zu bewegen, sich auf den Weg zu machen. Deshalb sollte vielleicht als erster Schritt mit einem kleinen Projekt begonnen werden, um sich über die Ergebnisse zu freuen und sich somit für weitere Aufgaben zu motivieren.
R. Naumann, C. Gaebler, F. Becker, D. Sarstedt, S. Scheeres
Alle Fotos von der Preisverleihung vom 3. März 2018: Simon Becker.
- Die Preisverleihung in der Presse:
Tagesspiegel v. 21.02.2018, Filmprojekt mit Schülern in Berlin: Mit einem Stolperstein fing alles an
Berliner Woche v. 03.02.208, Cecilien-Schule erhält das Rote Tuch