Bericht aus dem Hauptaussschuss Teil II: Erstes Nachtragshaushaltsgesetz für 2020 verabschiedet
04.08.2020: "Ein angemessen keynesianisches Programm"
Franziska Becker, Vorsitzende des Hauptausschusses
Am 4. Juni 2020 verabschiedeten wir im Abgeordnetenhaus ein 1. Nachtragshaushaltsgesetz (Entwurf v. 27.5.2020) für 2020. Der Anlass ist bekannt. Es müssen die Folgekosten der Corona-Pandemie haushalterisch abgebildet und der Senat zur Kreditaufnahme in Millidardenhöhe ermächtigt werden, um der schwächelnden Konjunktur auf die Beine zu helfen, Mindereinnahmen durch Steuerausfälle abzufedern und coronabedingte Mehrausgaben gegenzufinanzieren. (Beschlussvorlage des Hauptausschusses v. 27.5.2020).
Erster Nachtrag 2020: Keine Tilgung & Kreditaufnahme über 6 Mrd. €
Mit dem ersten Nachtrag sollen vor allem die notwendigen Mehrausgaben wie die Soforthilfeprogramme für Wirtschaft & Kultur (Kredite und Zuschüsse) resp. Kreditausfälle, Beschaffung von Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten für medizinisches Personal sowie das (fertige) Corona-Behandlungszentrum mit zunächst 500 Betten und Medizintechnik auf dem Messegelände in Charlottenburg (Halle 26) abgesichert werden. Der Entwurf sieht Ausgaben von rd. 3 Mrd. € vor. Davon sind rd. 2,6 Mrd. € Bundeshilfen, also durchlaufende Posten, die nicht zu Lasten des Berliner Landeshaushaltes gehen (v.a. Weitergabe der Mittel aus dem Sofortprogramm des Bundes an die Investitionsbank Berlin). Darüber hinaus werden mehr Ausgaben getätigt für die Messe Berlin GmbH (25 Mio. €) und die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (111 Mio. €, Berliner Anteil), für die Abgeltung pandemiebedingter Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz (28 Mio. €) sowie für die Beschaffung mobiler Endgeräte, für digitalen Schulunterricht (1,9 Mio. €, Berliner Anteil). Bei der Messe sollen sowohl Kurzarbeitsregelungen in Anspruch genommen werden als auch KfW-Programme, bei der eine Kapitalbeteiligung des Bundes über den Beteiligungsfonds zu prüfen ist.
Abweichend vom Senatsbeschluss, der erst im zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 eine Kreditaufnahme vorsah, verfolgten wir als rot-rot-grüne Koalition eine andere strategische Linie und setzten durch, dass jetzt der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist und nicht erst im Herbst. Der konjunkturelle Einbruch macht vor der Stadt nicht Halt. Daher haben wir den Senat zur Kreditaufnahme von über 6 Mrd. € bereits mit dem ersten Nachtrag ermächtigt.
Mit den Beratungen zum zweiten Nachtragshaushaltsgesetz nach der parlamentarischen Sommerpause werden wir uns unter anderem mit den Überlegungen des Senats befassen, der im ersten Nachtrag eine Mrd. € einsparen wollte (Änderungsanträge der Koalition zum 1. Nachtragshaushaltsgesetz v. 27.5.2020). Sparen werden wir etwa, indem Projekte verschoben werden, die derzeit nicht umzusetzen sind. In dem Zusammenhang brennt uns als SPD-Fraktion seit längerem die Frage auf den Nägeln, warum es einerseits viele unsanierte (alte) Verwaltungsgebäude gibt, in denen Arbeitsflächen nicht optimal ausgenutzt werden (können) und zugleich Mitarbeiter*innen Büros mit bis zu 30 qm für sich beanspruchen, um es einmal auf den Punkt zu bringen. Ein Thema, dass wir in den letzten zwei Jahren mit Hauptverwaltungen und Bezirken unter Vorlage von Flächenbilanzen immer wieder ergebnislos diskutiert haben und die im Zusammenhang mit wachsender Stadt und mehr Personalbedarf in der Verwaltung steht. Eine gangbare Lösung konnte bislang nicht gefunden werden, außer dass der Hauptausschuss zweiwöchentlich Anmietvorlagen für langfristige Mietverträge bei privaten Anbietern zustimmen soll (wo somit öffentliche Verwaltung als Marktteilnehmer auftritt, der mit verdrängt und nahezu jede Miete zahlt), obwohl Raum ausreichend vorhanden ist. Ich bin gespannt, wie wir dieses Dilemma auflösen werden (oder am Ende feststellen müssen, dass die derzeitige Lösung doch die günstigere ist…). Auf dieses Thema wies unser haushaltspolitischer Sprecher Torsten Schneider in seiner Plenarrede hin.
Zurück zum Nachtragshaushalt. Verabschiedet haben wir also, dass sich Berlin bereits im ersten Nachtrag mit 6 Mrd. € neu verschulden wird und nicht erst im Herbst. Damit erreichen wir den Verschuldungs-Peak von 2011 (62,9 Mrd. €). Wir halten das für nicht "zu viel". Mit Blick auf Tilgung und künftige Wahlperioden nehmen wir nur die nötigen Kredite auf, nicht mehr. Wir reagieren "angemessen keynesianisch" auf die Krise und werden, - ergänzend oder additiv zu den Bundesprogrammen -, berlinspezifische passgenaue Konjunkturpakete auslösen, die einen raschen Wiederaufschwung ermöglichen sollen. Ziel muss es jetzt sein, so rasch zu handeln, dass verhindert wird, dass Unternehmen durch eine zu lange Durststrecke insolvent gehen, Mitarbeiter*innen entlassen und ihre Einkommen nicht stabilisiert werden. Wir wollen auf keinen Fall die Fehler der Vergangenheit wiederholen und keine kleinteilige Debatten führen, wie man sich aus der Krise "heraussparen" kann. Damit bestünde gerade die Gefahr, dass Nachfrage ausgebremst wird und Unsicherheiten entstehen (daher haben wir auch die Bezirke mit abgeschirmt). Wir wollen schnell und entschlossen handeln.
Weiter haben wir Haushälter*innen klar gemacht, dass sich trotz der Krisensituation nichts an der aktuellen Berliner Personalplanung ändern wird, d.h. Stellen werden besetzt, Gehälter nicht eingefroren und Beförderungen nicht gestoppt, damit die Berliner Verwaltung auch morgen noch handlungsfähig bleibt. Eine Haushaltssperre wird es nicht geben. Diese Linie deckt sich mit der des Bundes, der doppelt so viel Geld bereit stellt, wie während der Finanzkrise 2009, ebenso mit der der Mai-Steuerschätzung sowie den Prognosen der Bundesregierung und der Wirtschaftsforschungsinstitute. Gegenüber unseren Landesbeteiligungen äußerten wir die klare Erwartungshaltung, dass bei den Investitionen gerade jetzt nicht nachgelassen werden darf. Auch darauf werden wir achten.
Die Nettoneuverschuldung durch Kreditaufnahme kann erfolgen, weil wir ebenfalls am 4. Juni 2020 eine außergewöhnliche Notsituation nach § 2 des Berliner Schuldenbremsengesetz sowie eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes nach Art. 87, Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz, festgestellt haben. Damit haben wir dem Senat erlaubt, Schulden in besagter Höhe aufnehmen zu dürfen.
Es bleibt festzuhalten, dass 5,5 Mrd. € von den 6 Mrd. € Kreditaufnahme zunächst einer Rücklage zur Bewältigung coronabedingter Folgen zugeführt werden, die vor jeder Entnahme vom Hauptausschuss zu beschließen ist. Sollte es Haushaltsüberschüsse geben, werden diese nicht getilgt, sondern ebenfalls dieser Rücklage zugeführt. Die verbleibenden 500 Mio. € sind Mehrausgaben für das weitere Justieren der oben angeführten berlinspezifischen Maßnahmen und Soforthilfen, u.a. für ein Wirtschaftshilfeprogramm für den Mittelstand (bis zu 250 Beschäftigte), temporäre Familienhilfen (ohne Anspruch auf Notbetreuung), weitere Hilfen für Soloselbständige (Öffnung der Lebenshaltungskosten) sowie bezirkliche Ehrenamts- und Vereinsmitteln.
Ausblick
Spätestens im nächsten Doppelhaushalt 2021/ 2022 müssen Projekte neu bewertet und priorisiert werden, da in den kommenden Jahren 8 bis 9 % des bisherigen Haushaltsvolumens nicht mehr zur Verfügung stehen werden (also rd. 2 Mrd. € jährlich). Gleichwohl gilt, ganz im Sinne künftiger Generationen, dass laufende Projekte, etwa die Schulbauoffensive, ein Teil möglicher Konjunkturprogramme des Bundes werden. Ziel ist es, öffentliche Investitionen in die Infrastruktur kontinuierlich fortzuführen und idealerweise zu beschleunigen. Die investiven Kernprojekte des Koalitionsvertrages haben weiterhin Bestand.
Der coronabedingte Konjunktureinbruch, Steuerausfälle, notleidende Unternehmen und steigende Arbeitslosenzahlen machen natürlich vor Berlin nicht Halt. Das bestätigt die Steuerschätzung. Bei der Gewerbesteuer erwartet man 2020 einen Rückgang von 23,5 % im Vergleich zum Vorjahr. In Zahlen: 2019 betrugen die Einnahmen noch satte 1,984 Mrd. Euro, nun geht man 2020 von nur noch 1,520 Mrd. € aus. Ab 2021 sollen die Steuereinnahmen zwar wieder steigen, jedoch erreichen sie möglicherweise noch nicht das Vorniveau, - ausgehend von geschätzten Mindereinnahmen von rd. 1,9 Mrd. € jährlich.
Inwiefern die Programme des Bundes für Berlin hilfreich sein werden, bleibt abzuwarten. Wir haben es vorgezogen, ergänzend eigene Vorsorge zu treffen, die uns einen eigenen Weg durch die Krise ermöglicht, der die Berliner Wirtschaft, Soloselbständige, Arbeitnehmer*innen, Familien und Ehrenamtliche mit einem Zweiklang aus öffentlichen wirtschafts- und infrastrukturfördernden Maßnahmen unterstützt.
Hier ist mein erster Bericht zum Thema Haushalt vom April 2020